„Ein Miteinander, in dem keine Person ausgeschlossen wird“
Interview mit Siegfried Binder über alternsgerechtes Arbeiten
Wie wollen wir arbeiten? Eine Frage, die sich durch den demografischen Wandel immer mehr stellt. Siegfried Binder hat sich intensiv mit dem Thema alternsgerechtes Arbeiten auseinandergesetzt. Im Interview berichtet er über Herausforderungen, Lösungsansätze und seine Vision für den Wiener Gesundheitsverbund.
Wenn es um Vielfalt geht, gehört das „Alter“ zu einer der fünf Dimensionen, die für das Miteinander im Wiener Gesundheitsverbund definiert wurden. Warum?
Aufgrund der demographischen Entwicklung stehen wir vor zahlreichen Herausforderungen. Eine davon ist, uns in Richtung einer alternsgerechten Gesundheitseinrichtung (Agefriendly hospital) zu entwickeln. Denn die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, steigt im Alter. Das bedeutet, dass wir immer älter, aber nicht unbedingt gesünder werden! Davon sind nicht nur die Patient*innen und Bewohner*innen der Einrichtungen des Wiener Gesundheitsverbundes betroffen, sondern auch unsere Mitarbeiter*innen.
Wie wichtig ist es für ein Unternehmen, sich mit alternsgerechtem Arbeiten zu beschäftigen?
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen für Patient*innen und Mitarbeiter*innen schaffen, hat es auch wirtschaftlich positive Auswirkungen. Mit entsprechenden Rahmenbedingungen wie Generationenbalance steigt bei den Mitarbeiter*innen nicht nur der Arbeitsindex, sondern auch die Arbeitszufriedenheit. Die Arbeitsfähigkeit wird dadurch bis zum regulären Pensionsantritt und darüber hinaus erhalten.
Welche Maßnahmen werden hier gesetzt?
Es gibt in unserer Organisation eine Menge an gesundheitsfördernden Aktivitäten und präventiven Maßnahmen. Damit werden das psychische und physische Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen gestärkt. Es finden regelmäßige Workshops mit dem ONGKG – Österreichisches Netzwerk Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen statt. Auch die Gesundheitszentren F.E.M. Süd und M.E.N. begleiten uns fachlich. So konnten in den letzten Jahren zusätzliche Gesundheitsmultiplikator*innen in den Bereichen Reinigung, Küche, Abteilungshilfe oder Serviceassistenz auf Beratungsaufgaben vorbereitet werden. Für die Zukunft ist ein Selbstevaluierungsinstrument geplant, das eine Bewertung der Altersfreundlichkeit in einer Organisation misst. Mit den Ergebnissen der Bewertung kann ein Maßnahmenplan zur Erstellung von altersfreundlichen und gesundheitsfördernden Strukturen und Prozessen entwickelt werden. Die Pilotphase ist schon abgeschlossen.
Welche Rolle spielt das NESTORGOLD-Gütesiegel?
Es wird an Unternehmen und Organisationen verliehen, deren gesamte Organisationsstruktur generationen- und alternsgerecht gestaltet ist und in denen die Potentiale und Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen jedes Alters und in allen Lebensphasen berücksichtigt werden. Es konnte in der ersten Pilotklinik tatsächlich eine höhere Arbeitszufriedenheit und geringere Krankenstände gemessen werden. Im Wiener Gesundheitsverbund sind schon mehrere Einrichtungen ausgezeichnet worden. Wie zum Beispiel das Therapiezentrum Ybbs, die Pflegeeinrichtungen Meidling und Liesing sowie die Kliniken Ottakring und Favoriten.
Was ist Ihre Zukunftsvision?
Dass eine „inklusive Gesellschaftskultur“ entsteht, in der jeder Mensch ein anerkannter Teil der Gesellschaft ist. In der es auch ein Miteinander gibt, in dem keine Person ausgeschlossen wird, unabhängig von Herkunft, Nationalität, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung, Religion oder Lebensalter.