Hatice Sahin-Ilter

Muttersprachliche Beratung im Wiener Gesundheitsverbund

Wachsende Diversität und Sprachenvielfalt als Chance nutzen!

Muttersprachliche Berater*innen sind im Wiener Gesundheitsverbund bereits seit über 30 Jahren im Einsatz. Die Initiative „Muttersprachliche Beratung“ wurde 1989 als ein WHO-Projekt unter der Leitung von Dr. Hannes Schmiedl ins Leben gerufen. 1993 hat die Gemeinde Wien diese Initiative übernommen und als Pionierarbeit im Wiener Gesundheitsverbund (damals KAV) gestartet. Wir haben Hatice Şahin-İlter, die als Dolmetscherin in der Klinik Landstraße tätig ist, gefragt, warum die muttersprachliche Beratung im Kliniksetting so wichtig ist:

Was bedeutet muttersprachliche Beratung?
Eine muttersprachliche Übersetzung beinhaltet nicht nur das Gesagte Wort-für Wort zu übersetzen, sondern auch die Kompetenz die kulturellen Nuancen und Codes zu erkennen und so zu vermitteln, dass beide Seiten davon profitieren. Damit sind z.B. Gewohnheiten und Orientierungen (wie etwa herkunftsbezogene institutionelle Strukturen) für Fragen der Gesundheitskompetenz (Krankheitsbilder, Umgang mit Erkrankungen bzw. mit Gesundheit überhaupt etc.) und institutionelle Strukturen im Wiener Gesundheitswesen gemeint. Im Vordergrund stehen dabei immer die Menschen und alle haben ihre speziellen Bedürfnisse. Unsere Arbeit ist ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden, das Empowerment und den Genesungsprozess der Patient*innen. Diese sind im Kliniksetting besonders vulnerabel – sie wollen verstanden werden und verstehen! Unsere Arbeit ist eine Brückenfunktion zwischen dem Personal und den Patient*innen sowie ihren Angehörigen.

Wann ist muttersprachliche Beratung besonders gefragt?
Die muttersprachliche Übersetzung findet bei Visiten, Untersuchungen, Aufklärungs- und Informations- sowie Anamnesegesprächen statt. Darüber hinaus ist auch bei pflegerischen, therapeutischen oder administrativen Angelegenheiten eine Übersetzung in die Muttersprache gefragt. Auch Formulare, Befunde, die Medikation, Diätpläne, Informationsbroschüren und OP-Reverse müssen übersetzt werden. Wenn Befunde aus den Herkunftsländern von Patient*innen stammen, ist eine entsprechende Übersetzung bzw. Erklärung und Moderation notwendig, damit die Kommunikation zwischen Patient*innen und Gesundheitspersonal optimal und transparent ablaufen kann. Auf Anordnung von Ärzt*innen sind wir auch bei telefonischen und/oder schriftlichen Verständigungen (Einberufungen) von Patient*innen und ihren Angehörigen tätig und kümmern uns um die Informationsweitergabe von Kontroll- oder OP-Terminen. Wenn notwendig agieren wir auch als Vermittlungsstelle zu anderen Anlaufstellen wie Vereinen und Hilfsorganisationen.

Gibt es darüber hinaus noch Situationen, in denen muttersprachliche Beratung besonders wichtig ist?
Bei psychosozialen, familiären sowie migrations- und migrant*innenspezifischen Fragen stehen wir ebenso zur Verfügung. Wir unterstützen auch bei der Erstellung und interkulturell-sensibilisierten Formulierung von Informationsmaterialien.
Die sozialen und interkulturellen Komponenten bei der muttersprachlichen Übersetzung dürfen nicht unterschätzt werden. Oft baut sich mit der Zeit eine Vertrauensbasis auf, sodass neue Lebensrealitäten hervortreten, die für die weitere Behandlung von Bedeutung sind. Auch haben wir es mit Patient*innen aus unterschiedlichen Bildungsniveaus zu tun. Wir sprechen also in einer Sprache (Umgangssprache, Dialekt etc.), die von der jeweiligen Standardsprache abweicht, damit uns die jeweiligen Patient*innen gut verstehen können.

Warum sind korrekt eingesetzte Übersetzungsmethoden so wichtig?
Nur wenn Gespräche zwischen z.B. Ärzt*innen und Patient*innen in einem professionellen Kontext stattfinden und die Informationstransfers für beide Seiten transparent und in völligem Verständnis stattfinden, kann die Anzahl falscher Diagnosen und Therapien vermindert werden.

Worauf muss bei der muttersprachlichen Beratung besonders Rücksicht genommen werden?
Gerade aus Gründen der Qualitätssicherung und Vermeidung von Risikofaktoren ist strikt davon abzuraten, Mitarbeiter*innen von ihrem hauptberuflichen Einsatz abzuziehen und spontan für Übersetzungsleistungen einzusetzen. Das gilt auch für den Einsatz von Angehörigen und Begleitpersonen, v.a. Minderjährigen, die aus dem Stegreif entscheidende Inhalte übersetzen sollen. Insbesondere ist es riskant, wenn Abhängigkeitsverhältnisse oder eine Gewaltbeziehung zwischen Patient*in und Angehörigen bzw. Begleitpersonen im Hintergrund sind bzw. sein können. Dieser Situation sind sich insbesondere unsere Gewaltschutzgruppen bewusst und pflegen einen entsprechend professionellen Umgang.