Patricia Holzmann

Genau hinschauen und Vorurteile vorbeugen

Psychisch-soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern

„Wir müssen genau hinschauen“,  so Mag.in Patricia Holzmann, klinische Psychologin an der Klinik Landstraße und Ansprechperson für operative Gesundheitsförderung. Sie weiß: Es gibt zwischen den Geschlechtern nicht nur biologische Unterschiede. Sie unterscheiden sich auch auf der psycho-sozialen Ebene. Und haben so andere Bedürfnisse für ihre Gesundheit.

Geschlecht als Rolle

Frauen beispielsweise, so weiß die Psychologin, sprechen in der Regel leichter über ihr Befinden und trauen sich schneller Hilfe zu suchen. Von  Männern hingegen wird erwartet, – nicht oder nur reduziert über Gefühle wie Scham und Unterlegenheit zu sprechen. Diese Hemmschwelle spielt eine wesentliche Rolle für die psychologische Praxis. Und das zeigt sich auch in Zahlen: Ambulante Psychotherapie wird zu zwei Dritteln von Frauen in Anspruch genommen.  Depressionen werden bei Frauen häufiger diagnostiziert, was nicht nur auf hormonelle Ursachen zurückzuführen ist. Bei Männern sind die Symptome viel verdeckter. Ein genauer Blick auf alle Geschlechter ist also unerlässlich. Zumal nicht selten klassische Symptome einer Depression, wie Gedrücktheit oder Antriebsverlust eher Frauen zugeordnet werden. Umgekehrt aber erhalten Männer, die über chronische Schmerzen klagen, schneller effektive Schmerzmittel.  Von einem Aufbrechen starrer Rollenklischees in der Medizin profitieren deshalb alle, fasst Patricia Holzmann die Situation zusammen.

Kampf und Flucht – oder Bindung und Schutz?

Welche Folgen die Vernachlässigung des biologischen und sozialen Geschlechts auf die psychische Gesundheit haben kann, zeigt auch ein einfaches Beispiel aus der Stressforschung.  Die „Fight-or-Flight“ Reaktion, also die Entscheidung zwischen Kampf und Flucht beschreibt, wie Lebewesen in Gefahrensituationen reagieren. Allerdings  wurden die ersten Studien ausschließlich mit männlichen Tieren durchgeführt. Erst Jahrzehnte später fiel auf, erklärt Holzmann, dass Frauen anders auf Stress reagieren. Nämlich überwiegend  mit der „Tend and Befriend“ Reaktion. Anstelle von Flucht und Kampf tendieren sie dazu, Bündnisse zu schließen und Schutz zu suchen. Sie zeigen also ein völlig anderes Verhaltensmuster. Allen gleich ist:  Befinden wir uns im Stress, schüttet der Körper Hormone wie das Adrenalin aus. Es macht  körperlich aggressiver und leistungsfähiger. Bei Frauen hingegen setzt der Körper zusätzlich vermehrt Oxytocin frei. Dieses Bindungshormon sorgt dafür, dass wir mitfühlend und sozial handeln. Zudem mindert es die Ausschüttung  des Stresshormons Cortisol und senkt die Herzfrequenz und den Blutdruck. Menschen reagieren auf Stress daher rein biologisch schon sehr unterschiedlich.

Bedürfnisorientierte Angebote für Mitarbeiter*innen

Dieses Wissen müssen wir auch nutzen, um unsere Mitarbeiter*innen bestmöglich zu unterstützen. Der  Wiener Gesundheitsverbund schafft  daher bedürfnisorientierte Angebote in der Gesundheitsförderung „Denn auch eine 29-jährige, kinderlose Physiotherapeutin“, so Holzmann, „braucht eine andere Gesundheitsförderung als eine 49-jährige alleinerziehende Verwaltungsangestellte.“ In der Klinik Landstraße, so die Expertin weiter, wurden daher Projekte zur Gesundheitsförderung gender-, diversitäts- und generationenspezifisch gestaltet,  eben weil kein Mensch dem anderen gleicht.