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Ethnische Herkunft und kulturelle Vielfalt in der Pflege

Interview mit Gabriele Thür, Leiterin des Bereiches Pflege der TU PWH

Über die Hälfte der Wiener Stadtbevölkerung verfügt über eine Migrationsbiographie. Wie wirkt sich das bei den Bewohner*innen in den Pflegehäusern aus?

Der Bedarf nach Pflege ist universell. Die zunehmende Heterogenität der Wiener Bevölkerung bekräftigt unseren bisherigen inklusiven Ansatz der Pflege- und Betreuungsangebote in der TU PWH. Die Diversität und dabei vor allem die kulturelle Vielfalt der Bewohner*innen unserer Pflegehäuser steigt zunehmend. Diese Tatsache erfordert eine stetige professionelle Weiterentwicklung. Es bedarf hier vermehrt an Fortbildungen für unsere Mitarbeiter*innen. Dort können sie ihre Erfahrungen austauschen und voneinander lernen.

Vorab aber noch kurz zu den Mitarbeiter*innen in unseren Einrichtungen: Wir leben seit vielen Jahren eine kulturelle Vielfalt bei unseren Mitarbeiter*innen in allen Berufsgruppen. Dabei ist es wichtig ein respektvolles Miteinander zu fördern und Vorurteile abzubauen. Bei der Pflege und Betreuung der Bewohner*innen steht für uns die hohe Qualität an erster Stelle. Wir versorgen alle Bewohner*innen individuell gehen auf ihre besonderen Bedürfnisse so gut wie möglich ein.

Was sind Herausforderungen, Chancen, Perspektiven und Aufgaben für die Zukunft im Umgang mit der zunehmenden Diversität in der ethnischen Herkunft unserer Bewohner*innen?

Die vielfältigen Zielgruppen bringen ihre unterschiedlichen religiösen und kulturellen Gewohnheiten mit in unsere Einrichtungen. Das bedeutet für das Team eine aktive Auseinandersetzung damit – von der Essensbestellung bis hin zur Gestaltung von Festen. Weihnachten, Muharrem, Purim, Gedächtnismahl oder Opferfest– inklusive der Einbeziehung der An-und Zugehörigen – bedeutet eine ständige Weiterentwicklung des Pflege- und Betreuungskonzeptes. Es ist anzunehmen, dass parallel zum steigenden Anteil der Wiener*innen mit Migrationsbiographien zukünftig auch die Anzahl der Bewohner*innen mit Migrationshintergründen aus dem globalen Süden ansteigen wird. Darauf können und müssen wir uns als Wiener Gesundheitsverbund einstellen. Die Herausforderung liegt darin herauszufinden, welche Vorstellungen die Bewohner*innen und deren An- und Zugehörige haben und diese nach den vorhandenen Ressourcen so gut wie möglich umzusetzen.

Verfügen die Mitarbeiter*innen über ausreichend Diversitätskompetenz um mit der steigenden Zahl von Bewohner*innen mit Migrationsbiographie umzugehen? (Thema: Interkulturalität; interkulturelle Kompetenz)

Wir können hier auf viele Jahre Erfahrung zurückgreifen. Die Anzahl der Bewohner*innen aus unterschiedlichen Kulturen ist derzeit noch überschaubar. Das Wissen über andere Kulturen kommt meist von den Mitarbeiter*innen, darum ist die Diversitätskompetenz unserer Mitarbeiter*innen von unermesslicher Bedeutung.

Zum Beispiel ist es in der Betreuung von Menschen mit Demenz besonders wichtig interkulturelle Aspekte zu berücksichtigen, um eine angemessene und respektvolle Versorgung sicherzustellen. So sprechen Menschen mit Demenz meist wieder ausschließlich ihre Muttersprache. Hier werden neue Kommunikationsformen und –tools besonders hilfreich sein, die zum Beispiel mit Bildern und Piktogrammen arbeiten.

Welche Herausforderungen ergeben sich durch die Mehrsprachigkeit im Pflege- und Betreuungssetting im Wiener Gesundheitsverbund?

Eine freundliche Geste, ein Lächeln oder eine helfende Hand im Alltag bedeuten oft wesentlich mehr als die „richtige“ Sprache zu sprechen. Zum Beispiel war bei uns vor einiger Zeit ein syrischer Kollege ehrenamtlich tätig. Er verstand unsere Sprache noch nicht, aber er war sehr empathisch und schaffte es trotzdem mit den Bewohner*innen zu kommunizieren. Sie haben ihn sehr positiv aufgenommen. Manchmal helfen auch Bilder und Piktogramme oder andere Sprachtools um Verständnis zu schaffen.

So freuen wir uns schon sehr auf den Einsatz von KI oder ähnlichen Innovationen, die die Mitarbeiter*innen bei der täglichen Arbeit unterstützen kann. Aber natürlich wird Mehrsprachigkeit angesichts der zunehmenden Wiener Stadtbevölkerung auch bei unseren Mitarbeiter*innen immer wichtiger werden.

Was funktioniert gut im Umgang mit der Diversität? Was braucht es noch?

Bei der Erhebung der Biografie bei der Aufnahme von Bewohner*innen werden kulturelle, religiöse und spirituelle Bedürfnisse wahrgenommen und verschriftlicht.

Wir orientieren uns an den Grundsätzen der Hospiz Bewegung bzw. den Prinzipien und Standards von Palliative Care. Neben den körperlichen Bedürfnissen gehören dabei die sozialen, die emotionalen und die spirituellen Bedürfnisse der Menschen dazu.

Bei der Errichtung unserer Häuser haben wir multireligiöse Räume gestaltet und damit Raum für alle Bedürfnisse geschaffen. Ich weiß noch, als ich 2001 in den Langzeitbereich gewechselt bin, gab es bereits im Geriatrie Zentrum am Wienerwald einen Leitfaden zu Diversität und eine Ansprechpartnerin in der Pflegedirektion. Wir waren damals Vorreiter. Ich war davon sehr beeindruckt.

Was möchtest du in diesem Zusammenhang noch abschließend ergänzen?

Für mich ist es wichtig die sexuelle Orientierung hier auch zum Thema zu machen. Personen, die gegenwärtig bei uns in den Einrichtungen wohnen, sind zum Großteil in einer Zeit aufgewachsen, in der Sexualität nicht thematisiert wurde. Zum Glück sehe ich hier heute Fortschritte. Ich bin dankbar und stolz in unserem gemeinsamen Wirken der Teilunternehmung Pflegewohnhäuser die Langzeitpflege und Betreuung auf einen guten Weg begleiten zu dürfen.

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