Gewalt macht krank für OTW

Die Bedeutung von Opferschutzgruppen im Krankenhaus

Koordinatorin der Vernetzung der Wiener Opferschutzgruppen im Gespräch

Alexandra Grasl-AkkilicIm Laufe ihres Lebens ist jede 5. Frau in Österreich von körperlicher bzw. sexueller Gewalt – häufig durch den (Ex)Partner – betroffen! Krankenhäuser sind dann meist die erste Anlaufstelle. Oft fällt es Betroffenen jedoch schwer, sich als Gewaltopfer zu erkennen zu geben. Daher ist es von besonderer Bedeutung, Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern für das Thema Gewalt – vor allem Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen – zu sensibilisieren. Seit 2009 sind Opferschutzgruppen in Wien gesetzlich in Krankenhäusern mit Abteilungen für Gynäkologie und Notfallmedizin vorgeschrieben. Diese sollen zur Früherkennung von gewaltbetroffenen Patient*innen und zur Sensibilisierung des Krankenhauspersonals beitragen. Alexandra Grasl-Akkilic, stellvertretende Leiterin des Wiener Programms für Frauengesundheit, koordiniert die 2013 gegründete Vernetzung der Wiener Opferschutzgruppen und verfügt über langjährige Expertise mit Opferschutzgruppen in Wiener Krankenhäusern. Anlässlich der diesjährigen Orange-the-World-Kampagne haben wir sie zum Thema interviewt:

Warum ist Opferschutz im Krankenhaus so wichtig?

Mitarbeiter*innen im Krankenhaus haben eine wichtige Schlüsselfunktion beim Erkennen und beim Dokumentieren von Betroffenen häuslicher Gewalt und Beziehungsgewalt – meist Frauen. Sie erkennen am besten, welche Symptome auf Gewalterfahrungen zurückzuführen sind. Die Opferschutz-Doku kann ein wichtiger Beweis in einem Gerichtsprozess sein. Die Beschwerden von Betroffenen können hier sehr facettenreich sein. Abgesehen von offensichtlichen Verletzungen kommt es auch häufig zu einer Reihe von körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen. Von chronischen Bauch- und Kopfschmerzen, Panikattacken über ungewollte Kinderlosigkeit bis hin zu einem niedrigen Geburtsgewicht bei Säuglingen ist alles möglich. Psychische Folgeschäden können auch viel später auftreten. Hier ist es wichtig genau hinzuschauen und im Rahmen der Anamnese nach Gewalterfahrungen zu fragen! Wichtig ist auch, dass Mitarbeiter*innen Gewaltopfer zu extramuralen Beratungsstellen weiterverweisen.

Wie sind OSG entstanden? Welche Idee steckt dahinter?

2009 ist im Kranken- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) das erste Opferschutzgruppen-Gesetz in Kraft getreten. Dieses sieht verpflichtend Opferschutzgruppen für Schwerpunktkrankenhäuser und Zentralkrankenanstalten vor. Diese müssen interdisziplinär besetzt sein. Pro Krankenhaus müssen Fachärzt*innen für Gynäkologie, Notfallmedizin und Psychiatrie mit Kolleg*innen aus der Pflege und dem psychologischen Dienst eine Opferschutzgruppe bilden. 2012 ist dann auch ein entsprechendes Gesetz vom Bund in Kraft getreten. In diesem wird das Erkennen häuslicher Gewalt extra als Aufgabe betont.

Es gab aber bereits vor 2009 Opferschutzgruppen im Wiener Gesundheitsverbund. 1998 bildeten engagierte Pflegekräfte in der Unfallambulanz der Klinik Ottakring eine Opferschutzgruppe. Diese war die erste in Österreich. Sie beschäftigte sich intensiv mit dem Thema, wie man erkennen kann, wenn Gewalteinwirkung als Unfallverletzung getarnt wird und was gewaltbetroffene Patient*innen am dringendsten brauchen. Dazu gehören etwa eine gerichtstaugliche Dokumentation und ein Gespräch in einem geschützten Rahmen. 2003 gab es dann bereits eine 2. Opferschutzgruppe in der Klinik Donaustadt. Diese beiden Gruppen waren Pioniere auf ihrem Gebiet und haben gezeigt, wie wichtig Opferschutz ist.

Wie kamen Sie zum Opferschutz?

Bereits 2004 habe ich beim Wiener Programm für Frauengesundheit an einem Projekt zur Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen in Spitälern des Wiener Gesundheitsverbundes (damals KAV) gearbeitet.  Eine Umfrage unter medizinischem und pflegerischem Personal in der Klinik Donaustadt und Favoriten ergab damals, dass nur ein Viertel der Mitarbeiter*innen sich in der Lage fühlte, Gewaltbetroffene adäquat zu betreuen. Das Thema Gewalt- und Opferschutz kam damals in der Ausbildung nicht vor. Um die Situation zu verbessern, boten daraufhin der 24 Stunden-Frauennotruf, das Gerichtsmedizinische Institut, die Kinder- und Jugendhilfe und das Wiener Programm für Frauengesundheit gemeinsam Weiterbildungen in den Schwerpunktkrankenhäusern an. Das war ein ganz wichtiger Meilenstein.

Wie sehen Sie die Rolle der Vernetzung der Wiener Opferschutzgruppen? Warum ist das so wichtig?

Bei der Vernetzung der Wiener Opferschutzgruppen sind in Wien 13 Krankenhäuser von insgesamt 5 Trägern miteinander vernetzt. Dabei handelt es sich um eine gute Plattform um von den Erfahrungen der anderen zu lernen. Dieser Austausch ist von großer Bedeutung.

Ziel der Vernetzung der Wiener Opferschutzgruppen sind standardisierte Abläufe und ein einheitliches Prozedere im Umgang mit gewaltbetroffenen Patientinnen sowie der Dialog mit Fachleuten und Gewaltschutzeinrichtungen. Diese können basierend auf den Erfahrungen immer weiterentwickelt werden.

In diesem Rahmen wurde die „Checkliste bei Gewalt gegen Frauen“ erarbeitet. Sie passt in jede Manteltasche und unterstützt das medizinische Personal im klinischen Alltag dabei, Gewaltübergriffe als solche zu erkennen und richtig zu handeln.

Wo steht Wien mit der OSG-Arbeit? Was braucht es noch?

Wir sind auf einem guten Weg. Die verpflichtenden Opferschutzgruppen waren ein wichtiger Meilenstein für Wien. Auch ist Spurensicherung und Gesprächsführung heute als medizinische Leistung anerkannt, das macht vieles leichter.

Darüber hinaus müssten regelmäßige Schulungen für das medizinische, pflegerische und therapeutische Personal in den Kliniken verpflichtend sein. Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren in diesem Bereich viel getan. Beispielsweise gibt es seit 2015 die Fortbildungsreihe „Gewalt macht krank“ in der Generaldirektion, die ich mit Dr.in Michaela Rauschmeier initiierte und seither begleite – seit zwei Jahren in wunderbarer Zusammenarbeit mit Dr.in Zeynep Arslan. Das Bewusstsein für das Thema ist heute auf jeden Fall vorhanden.

Ich würde mir aber wünschen, dass die Opferschutz-Arbeit in den Krankenhäusern noch sichtbarer wird. Ähnlich wie bei den Brandschutzbeauftragten, die nach Ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen nachbesetzt werden müssen, sollte diese Nachfolgeregelung in den Kliniken fix verankert werden. Die Arbeit der Opferschutzgruppen sollte stärker anerkannt werden.

Ein weiterer Punkt ist die Dokumentation von Opferschutzfällen. Diese müsste dringend verbessert und vereinheitlicht werden. Hier gibt es noch Lücken. Nur ein Beispiel: Jedes Haus hat ein anderes Prozedere für das Speichern der Fotodokumentation. Insgesamt sehe ich aber auf jeden Fall eine sehr positive Entwicklung.

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