Orange the World: Gewaltschutz für Mitarbeiter*innen
Professioneller Umgang mit Aggression und Gewalt Im Wiener Gesundheitsverbund
In der Fortbildung „Gewaltschutz für Mitarbeiter*innen“ im Rahmen der Orange the World Kampagne nimmt Harry Stefan, Leiter des zentralen Sicherheitsboards im WIGEV, Stellung zu Gewalt und Aggression im Gesundheitsbereich und präsentiert die Gewaltschutzmaßnahmen im Wiener Gesundheitsverbund.
Bei wem liegt die Verantwortung im Umgang mit Gewalt und Aggression?
Die Verantwortung liegt bei uns allen! Gewalt und Aggression sind keine neuen Phänomene, doch heute begegnen wir ihnen bewusster und mit größerer Sensibilität. Gerade für Personen in Gesundheits- und Pflegeberufen ist es besonders wichtig mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Hier ist eine transparente Kommunikation, die alle Seiten mit einbezieht, von großer Bedeutung. Zuallererst sollten wir uns bewusst machen, dass Aggression einem phasenhaften Verlauf folgt. Die Geschwindigkeit, mit der eine Situation eskaliert – ob schneller, langsamer oder idealerweise gar nicht – hängt davon ab, wie bewusst wir auf die ersten Anzeichen reagieren. Ein professioneller und geschulter Umgang mit Aggression und Gewalt ist dabei entscheidend.
Wie kann ein professioneller und v.a. deeskalierender Umgang gewährleistet werden?
Deeskalation bedeutet Prävention. Ziel dabei ist es, Aggressionsereignisse so weit wie möglich zu vermeiden. Dabei unterscheidet man zwischen drei Präventionsstufen:
- Primäre Prävention: Hier liegt der Fokus darauf, dass es gar nicht erst zu einem Aggressionsereignis kommt.
- Sekundäre Prävention: Ziel ist es, eine bereits eingetretene Situation zu entschärfen und eine weitere Eskalation zu verhindern.
- Tertiäre Prävention: Diese konzentriert sich auf die Wiederherstellung der Normalsituation. Folgeschäden sollen damit verhindert bzw. vermindert und ein sicheres Umfeld ermöglicht werden (Nachbearbeitung, Nachbetreuung und Lernen für die Zukunft).
Wie können wir diese Theorie nun in der Praxis anwenden? Oft können es Kleinigkeiten sein, die Aggressionsereignisse auslösen. Wenn Emotionen erst einmal die Oberhand gewinnen, sind Menschen für rationale Argumente oft schwer zugänglich. Dann muss man direkt reagieren. Es braucht Zeit, bis eine konstruktive Kommunikation wieder möglich ist. Um aus solchen Situationen zu lernen, ist es essenziell, die Vorfälle zu reflektieren und aufzuarbeiten.
Wie können heikle Situationen rechtzeitig erkannt werden?
Das Bewusstsein in der Gesellschaft für Themen wie Gewalt, Aggression und sexuelle Belästigung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Ergebnisse unserer Erhebungen zu Aggressionsvorfällen im WIGEV verdeutlichen, dass Schulungen für Mitarbeiter*innen im Umgang mit Aggression und Gewalt nicht nur sinnvoll sind, sondern auch deeskalierend wirken und die Sensibilität steigern. Durch erweitertes Fachwissen und gezielte Kompetenzen können präventive Maßnahmen effektiver eingesetzt und Aggressionen teilweise vermieden oder reduziert werden. Dabei braucht z.B. der Kinder- und Jugendbereich andere gezielte Kompetenzen, wie der Bereich für demenzerkrankte Patient*innen oder die zentrale Notaufnahme.
Was sind die institutionellen Voraussetzungen für sichere Organisationen?
Der Wiener Gesundheitsverbund verfügt seit 2019 über ein Zentrales Sicherheitsboard, das in der Unternehmensleitung angesiedelt ist. In diesem Board sind 19 Mitglieder aus den Kliniken und den Pflegehäusern vertreten, die sich vierteljährlich treffen und mit den Sicherheitsboards in den Kliniken und Pflegehäusern eng zusammenarbeiten. Zu den Hauptaufgaben des Gremiums gehören die Beratung, die Ausarbeitung von Beschlussgrundlagen, das Erkennen von Problemfeldern sowie die Definition von Standards. Auch die Opferschutzgruppen sind nun Im Gremium vertreten. In einem weiteren Schritt wurde eine Datenbank für die Erfassung von Aggressionsereignissen im WIGEV installiert, wo kontinuierlich Sach- und Personenschäden dokumentiert werden. Einmal jährlich rufen wir im Rahmen einer vierwöchigen Erhebungsphase Mitarbeiter*innen aus allen Ebenen der Organisation dazu auf ihre Aggressionsereignisse zu melden. Der Erhebungszeitraum läuft noch bis 15. Dezember. Mehr unter https://eva:8443/eva/portal
Wo stehen wir im internationalen Ranking die Gewaltprävention am Arbeitsplatz betreffend?
Europaweit ist der Wiener Gesundheitsverbund bisher die einzige Institution, die im Rahmen der Aggressions- und Gewalterhebung nicht nur Gewalt- und Aggressionsformen von externen Personen berücksichtigt und erheben lässt, sondern auch jene, die zwischen Mitarbeiter*innen sowie von Führungskräften gegenüber Mitarbeiter*innen stattfinden. Seit 2019 bekräftigen klare Statements der obersten Führungsebene dieses Engagement und es wurde ein umfassendes Gewaltpräventionskonzept im WIGEV eingeführt.
Darüber hinaus gibt es ein umfassendes Sicherheitskonzept sowie ein Strategiepapier, das klar die Achtung der Würde anderer auf allen Ebenen als einen Grundwert der Unternehmung darstellt und die Nulltoleranz für Aggression und Gewalt unterstreicht.
Möchten Sie abschließend noch etwas ergänzen?
Es gibt keine aggressions- und gewaltfreie Gesellschaft. Gerade im Gesundheitswesen dürfen solche Themen kein Tabu sein, da dies die Sicherheit von Mitarbeiter*innen und Patient*innen gefährden könnte. Durch die wachsende Sensibilisierung sprechen wir heute offener darüber und nennen Vorfälle wie etwa Kindesmissbrauch oder sexuelle Belästigung auch beim Namen. Die Fürsorgepflicht ist in den internationalen und gekoppelten nationalen Richtlinien klar geregelt und umfasst alle materiellen und immateriellen Interessen der Arbeitnehmer*innen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis. Das Leben, die Gesundheit sowie die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeiter*innen müssen geschützt sein. Deeskalations- und Aggressionsmanagement beinhaltet alle Faktoren, die dazu beitragen Konflikte zu bewältigen und idealerweise Aggression und Gewalt erst gar nicht entstehen zu lassen. Das ist nicht immer möglich, daher braucht es eine kompetente und geschulte Handhabung. Ohne das Engagement und die Übernahme von Verantwortung durch jede*n Einzelne*n kann das Sicherheitsmanagement nicht effizient sein.