Klinik Ottakring mit orangem Schleier

Kinder- und Opferschutz im Wiener Gesundheitsverbund

Das Thema Gewalt betrifft Menschen aller Altersstufen, unabhängig von Religion, Staatsangehörigkeit oder Bildungshintergrund. Meist sind Frauen und Kinder die Opfer. Und für sie sind Krankenhäuser oft die erste und einzige Anlaufstelle. Daher gibt es in allen Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes Kinder- und Opferschutzgruppen. Dr.in Susanne Hölbfer, Oberärztin in der gynäkologischen Abteilung der Klinik Ottakring ist seit 2017 im Opferschutz tätig. Seit 2021 leitet sie die Opferschutzgruppe der Klinik Ottakring gemeinsam mit Marianne Gradt, Stationsleitung Pflege in der unfallchirurgischen Abteilung. In einem Interview verrät sie uns, worauf es beim Opferschutz besonders ankommt.

Was hat sich im Opferschutz in den vergangenen Jahren verändert?

Dr.in Susanne Hölbfer, Oberärztin in der gynäkologischen Abteilung der Klinik Ottakring

Die coronabedingten Lockdowns waren aus medizinischer Sicht notwendig und verständlich, für den Opfer- und Kinderschutz waren sie aber sehr problematisch. Gewalt fand noch mehr im Verborgenen statt als zuvor. Gesundheitseinrichtungen wurden seltener aufgesucht. Wir müssen aber davon ausgehen, dass durch die Pandemie, die für die meisten Menschen eine sehr belastende Situation war, Opferschutz-Fälle eher häufiger als seltener geworden sind. Allerdings wurden sie oft nicht bemerkt.

Ein zweites Thema ist die Gesetzesänderung zum Gewaltschutzgesetz 2019. Die veränderte Anzeigepflicht der Gesundheitsberufe hat zu vielen Problemen und Unsicherheiten bei den Mitarbeiter*innen der Krankenhäuser geführt. Viele Opfer sind zunächst nicht sicher, ob sie Anzeige erstatten möchten. Die Gesetzesänderung führte dazu, dass Opfer keine medizinische Hilfe mehr gesucht habe, weil sie Angst vor einer Anzeige gegen ihren Willen hatten. Erst langsam spricht sich herum, dass die Anzeigepflicht nicht immer gilt, sondern nur bei „Gefahr in Verzug“. Hier ist noch weitere Aufklärungsarbeit – sowohl beim Personal als auch in der Bevölkerung – notwendig.

Welche Themen beschäftigen Sie im Moment am meisten?

Im Opferschutz gibt es immer genug zu tun. In den letzten Monaten haben wir in der Klinik Ottakring intensiv an einer Empfehlung für die zentrale Notaufnahme gearbeitet. Hier geht es darum, Regelungen für viele Themen rund um den Opferschutz zu entwickeln. Dabei haben sich die engagierten Opferschutz-Kolleginnen der Notaufnahme zum Beispiel mit der Frage beschäftigt, welche medizinische Fachrichtung für welche Patient*innengruppe zuständig ist.

Ein weiteres aktuelles Thema ist der gerichtssichere Nachweis von KO-Mitteln. Hier geht es darum die entsprechende Diagnostik bewilligt zu bekommen und Abläufe zum Probenversand zu organisieren.

In Ottakring gibt es sowohl eine Opferschutzgruppe als auch eine Kinderschutzgruppe. Was unterscheidet diese beiden Gruppen und ihre Arbeit voneinander?

Die Kinderschutzgruppen sind bereits seit vielen Jahren vom Gesetzgeber gefordert und in den Krankenhäusern eingerichtet worden. Die Opferschutzgruppen gibt es noch nicht so lange. Sie sind daher weniger „stabil“. Während beim Kinderschutz immer die Kinderabteilungen mit Ärzt*innen, Pflegepersonal, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen federführend waren, sind bei den Opferschutzgruppen unterschiedliche Fachrichtungen aktiv. Das sind manchmal die Unfallabteilungen, manchmal die Gynäkologie oder auch die Psychiatrie oder die Notaufnahme. Zusätzlich sind auch unterschiedliche Berufsgruppen unterschiedlich stark eingebunden. Manchmal ist besonders die Pflege sehr engagiert, manchmal die Ärzt*innen. Das erschwert die Zusammenarbeit, denn jede*r hat unterschiedliche Perspektiven und Bedürfnisse. Darüber hinaus fehlt es immer wieder an Kontinuität. Eine Opferschutzgruppe kann zum Beispiel leicht auseinanderfallen, wenn ein*e tragende*r Mitarbeiter*in eine Abteilung verlässt. Und natürlich bestehen auch gesetzlich viele Unterschiede zwischen Kinderschutz und Opferschutz.

Die Opferschutzarbeit soll möglichst viele Mitarbeiter*innen – und natürlich auch externe Personen – für das Thema sensibilisieren. An welchem Punkt stehen wir da gerade in der Klinik Ottakring?

Im Bereich der Opferschutzarbeit sind regelmäßige Fortbildungen von Mitarbeiter*innen von großer Bedeutung. Dafür braucht es aber ein großes Team. In der Klinik Ottakring haben wir Glück. Unser Team ist sehr engagiert und mit 10 permanenten Mitgliedern im Vergleich zu anderen Häusern auch ziemlich groß. Wir treffen uns alle 1 bis 2 Monate und halten mehrmals im Jahr Vorträge zum Thema. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass keiner von uns diese Tätigkeit hauptberuflich macht. Im Gegenteil – die überwiegende Mehrheit von uns hat kein Stundenkontingent für die Opferschutzarbeit und macht diese Arbeit hauptsächlich in der Freizeit.

Was braucht es aus Ihrer Sicht für die Opferschutzgruppen und ihre Arbeit – aber auch generell – um Gewalt-Betroffenen noch besser helfen zu können?

Als Opferschutzgruppen brauchen wir Zeit, Handlungsbefugnis und Unterstützung durch den Wiener Gesundheitsverbund. Häufig fehlen uns Ansprechpartner*innen, die sich zuständig fühlen. Für Gewaltbetroffene braucht es mehr Aufmerksamkeit und Mut, Dinge anzusprechen. Wir müssen lernen hinzuschauen! Oft haben Menschen eine Scheu davor nachzufragen, wenn sie Gewalt vermuten. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, mir war noch nie jemand böse, wenn ich mich geirrt habe. Daher besser einmal zu viel als zu wenig nachfragen!