Das gesamte Interview
Im Zuge der Aktionstage Orange The World fand am 25. November eine bemerkenswerte Fortbildung statt. Unter dem Titel „Gewalt im Kreißsaal – Wie geburtshilflich umgehen mit der Roses Revolution?“ beleuchtete Dr.in Susanne Hölbfer, Gynäkologin an der Klinik Ottakring, die Ursachen und Dynamiken von Konflikten im Kreißsaal. Der Kurs vermittelte Ansätze zur Prävention und Sensibilisierung für eine empathischere Geburtshilfe.
Geburten sind emotional und körperlich intensive Erfahrungen – nicht nur für die Mütter, sondern auch für Begleitpersonen und medizinisches Personal. In ihrem Vortrag erläuterte Dr.in Susanne Hölbfer, wie diese Ausnahmesituationen besser gemeistert werden können. Im folgenden Interview gibt sie Einblicke in die Herausforderungen und Lösungen.
Warum ist der Kreissaal immer wieder ein Ort der Eskalation?
Das ist ja prinzipiell leicht nachvollziehbar: eine Geburt ist ein „gewaltiges“ Ereignis, für alle Beteiligten. Die Patientinnen und ihre Angehörigen gehen in eine Geburt mit hohen Erwartungen und Freude, aber auch mit Angst und Sorge. Für die Betreuenden kann eine Geburt auch eine Herausforderung darstellen. Im Grunde sind wir für das Leben von 2 Menschen verantwortlich und es kann – trotz aller medizinischen Kompetenz und Fortschritte – bei einer Geburt immer etwas schiefgehen.
Also haben wir drei Beteiligtengruppen, die mit einem hohen Stresslevel im Kreissaal aufeinandertreffen: Die erste Gruppe ist das Kreißsaal-Personal, und hier sollten wir alle Berufsgruppen mitdenken, also nicht nur Hebammen und Geburtshelfer*innen sondern auch medizinisches und pflegerische OP-Personal, die Reinigungskräfte oder auch die Verwaltungs- und die Sicherheitskräfte. Die zweite Gruppe umfasst die Begleitpersonen. Auch hier gibt es unterschiedlich geeignete und unterschiedlich vorbereitete Personen, denen immer eine große Sorge um die Hauptpersonen gemeinsam ist. Das wäre dann die dritte „Gruppe“, nämlich die Mutter und das Kind, um deren Wohlergehen es ja zentral geht.
Alle diese Beteiligten bringen Erwartungen und Wünsche mit, aber auch Ängste, Vorerfahrungen und, im schlechtesten Fall, Traumata. Konflikte, die aus unterschiedlichen Erwartungshaltungen und der Extremsituation „Geburt“ erwachsen, sind quasi vorprogrammiert. Eine professionelle Handhabung dieser Dynamiken verlangt in erster Linie einen empathisch-sensibilisierten Umgang mit der Situation. Wir müssen uns bewusstmachen, dass sich eine Sensibilisierung auf alle Berufsgruppen erstrecken sollte. So wie Reinigungskräfte wissen sollten, dass es sich um sehr intime Situationen handelt, wo in den betroffenen Bereichen die Tür nicht einfach auf- und zu gemacht werden kann, obliegt es dem Sicherheitspersonal kompetent, deeskalierend mit schwierigen Situationen umzugehen.
Was sind konkreten Situationen, in denen es häufig zu Konflikten kommt?
Als geburtshilfliches Personal erwarten wir uns oft einen Vertrauensvorschuss von den Patientinnen und würden gerne respektiert werden. Wir wünschen uns, dass die Patientinnen all das (mit-)machen, was wir ihnen sagen und vorbereitet zur Geburt kommen. Und wir erhoffen uns Verständnis dafür, dass manchmal unser Kreißsaal voll mit anderen Müttern ist, sodass wir nicht ständig in unmittelbare Nähe sein können. Wir müssen uns klarmachen, dass dies alles häufig nicht gegeben ist. Die Patientinnen und Begleitpersonen erwarten sich nachvollziehbarerweise Hilfe und beste medizinische Betreuung, aber auch Empathie und das am besten immer und rund um die Uhr. Dabei ist ihnen in ihrem Ausnahmezustand oft relativ egal, dass es noch andere Patientinnen gibt, die auch betreut werden müssen. Auch ein Vertrauensvorschuss ist nicht selbstverständlich, noch dazu wo wir durch wenig „Spitalskontakte“ unsere Gebärenden immer schlechter „kennen“. Diese Realitäten müssen wir mitdenken als Betreuende einer Geburt und bereit sein, uns selbst mit unseren Bedürfnissen und Wünschen stark zurückzunehmen.
Welchen Herausforderungen stellen geburtshilfliche Notfälle im Besonderen dar?
Aus dem professionellen Setting heraus ist rechtlich nur die Mutter die Patientin, für die allermeisten Mütter steht allerdings das Leben des Kindes im Vordergrund. Wir als Geburtshelfer*innen müssen für beide mitdenken. Die Entscheidungen, die in dieser außerordentlichen Situation oft sehr kurzfristig und rasch getroffen werden müssen, können sowohl für Patientinnen, die Begleitpersonen wie auch die Mitglieder des geburtshilflichen Personals oft überwältigend sein. Insbesondere auf Seiten der Begleitpersonen ist nicht nur die Aufregung, sondern auch die Hilflosigkeit groß. Wir bekommen auch immer weniger Kinder, wodurch die Erfahrungen, Erlebnisse und Geschichten über die Geburt weniger werden. Wir sollten uns bewusst sein, wie traumatisch Erlebnisse wie ein Notkaiserschnitt für die beteiligten Mütter und Begleitpersonen sein können, auch wenn sie aus unserer Sicht optimal professionell betreut wurden und am Ende des Tages Mutter und Kind gesund nach Hause gehen.
Gibt es konkrete Tipps für eine bessere Handhabung?
Es ist immens wichtig, dass wir versuchen, noch lange vor der Geburt möglichst viel Relevantes über unsere Gebärenden zu erfahren – und dabei sind jetzt Informationen abseits geburtsmedizinischer Faktoren gemeint. Wir müssen auch über Gewalterfahrungen, Traumata, vorangegangene gewaltvoll erfahrene Geburten oder psychiatrische Erkrankungen Bescheid wissen. Gerade bei solchermaßen betroffenen Frauen ist das aufrechterhalten einer gewissen Kontrolle sehr wichtig und die Geburt häufig ein kompletter Kontrollverlust. Hier müssen wir vorab gemeinsam mit den Patientinnen besprechen, wie die Geburt gestaltet werden kann und was wir als Betreuende unbedingt vermeiden sollen.
Interkulturellen Komponenten sind weitere Realitäten, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Fast 90% unserer Patientinnen in der Klinik Ottakring verfügen über eine Migrationsbiographie, wodurch neben der Sprache auch die ethnokulturellen sowie religiösen Dimensionen einer Mitberücksichtigung verlangen. Frauen können mit Gewalterfahrungen unterschiedlicher Formen oder anderen traumatischen Erfahrungen, wie z.B. Flucht, Krieg, Fehlgeburten, Totgeburten in den Kreißsaal kommen. Das sind Informationen, die dann auch aufgrund einer Sprachbarriere gerade unter der Geburt kaum noch herauszufinden sind. Deshalb ist eine gute Anamneseerhebung vorab, gegebenenfalls mit Dolmetscher*in unerlässlich.
Aber wir müssen auch an uns arbeiten. Die Patientinnen vertrauen uns ihr Leben und das Leben ihres Kindes an, wenn sie zu uns kommen. Was wir machen sollten, ist, dieses Vertrauen zu stärken und auch auf die Wünsche unserer Gebärenden einzugehen, sofern dies medizinisch vertretbar ist. Es ist nicht klug, wenn wir uns als Geburtshelfer*innen gleich hinterfragt fühlen, wenn Patientinnen und ihren Begleitpersonen etwas Anderes wollen als wir primär empfehlen. Vergessen wir nicht: viele „Wahrheiten“, die noch vor 20 Jahren ultimativ gültig erschienen, sind heute medizinisch überholt. Wenn wir zu wenig Raum für Abstimmungsmöglichkeit für die Wünsche und Bedürfnisse der Mütter lassen, können diese sich sehr schnell überfahren und ungehört fühlen. Eine wichtige Voraussetzung ist der respektvolle, wertschätzende und vorurteilsbefreite Zugang und die Begegnung auf Augenhöhe.
Und wir sollten besser kommunizieren. Wenn eine Patientin einen ungeplanten Kaiserschnitt oder eine Saugglockengeburt hatte, müssen wir damit rechnen, dass die Patientin das eigentlich so nicht wollte. Daher sollten wir hellhörig sein und nachfragen, mit der Patientin offene Fragen klären und alles dafür tun, dass die Patientin sich gehört und verstanden fühlt. Nur so können unsere Gebärenden „gut nach Hause gehen“, auch wenn unter der Geburt ungeplante Ereignisse eintraten.
Sollte auch der Umgang mit Patientinnen im Kreißsaal ein Qualitätsmerkmal sein, nicht nur das medizinische Outcome?
Unbedingt. Das Feedback der Patientinnen, welches bei der Roses Revolution zutage tritt, sollten wir als konstruktive Kritik ernst und zum Anlass nehmen, unsere Arbeit zu verbessern. Dazu ist eine offene, selbstkritische Einstellung eine wichtige Voraussetzung. Es sollte „Chef*innensache“ sein, dass an den Abteilungen eine professionelle und sozialkompetente Kommunikation Grundvoraussetzung ist. Damit können Risiken und Konfliktpotential vorab besser abgeschätzt werden und Eskalationen vorgebeugt werden. Dazu zählen strukturierte Vor- und Nachbesprechungen sowie Aufarbeitungsgespräche mit Patientinnen. Als jene, die auf der professionellen Seite der Geschichte stehen, leisten wir technisch sehr oft sehr gute Arbeit, doch es ist wichtig, im Zuge einer ständigen Selbstreflexion, die auch mit Fallbesprechungen und Supervisionen in den Teams gestützt werden können, an der Verbesserung der Versorgung unserer Patientinnen in Hinblick auf Gewalterlebnisse im Kreißsaal zu arbeiten.