Fit bis ins hohe Alter: präventive Maßnahmen zur Gehirngesundheit
„Das Thema Gehirngesundheit betrifft uns alle – und zwar von der Geburt bis zum Lebensende. Aber für ein gesundes Gehirn muss man auch etwas tun“, betont Prof. Thomas Berger, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie an der MedUni Wien im AKH Wien und verweist damit auf die große Bedeutung von Prävention bei Demenzerkrankungen. In Österreich sind derzeit rund 130.000 – 150.000 Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen. Alzheimer ist dabei die häufigste Ursache für Demenz bei älteren Menschen. Durch gezielte Präventionsmaßnahmen könnten bis zu 40 Prozent aller Demenzen verhindert werden. Welche Maßnahmen das sind, wie man Demenz erkennen und Alzheimer von anderen Demenzerkrankungen unterscheiden kann, erzählt uns Prof. Berger anlässlich des Welt-Alzheimer-Tages im folgenden Interview.
Das Stichwort Brain Health ist derzeit in aller Munde. Was können wir uns darunter vorstellen?
Der Begriff Brain Health wurde im Jahr 2022 von der Europäischen Gesellschaft für Neurologie aus der Taufe gehoben. Damals hat die WHO auch den intersektoralen Globalen Aktionsplan (IGAP) zu „Epilepsie und anderen neurologischen Erkrankungen“ ratifiziert. Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Verbesserung der Diagnose, Behandlung und Prävention neurologischer Erkrankungen zu entwickeln und die*den Betroffenen in den Mittelpunkt dieses Aktionsplans zu stellen. Denn: Gehirnerkrankungen gelten als eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Dimension neurologischer Erkrankungen wird oftmals unterschätzt. Weltweit sind diese die 2.häufigste Todesursache und die weltweit häufigste Ursache für ein Leben in Behinderung bzw. ein Leben mit verringerten gesunden Lebensjahren (disability adjusted life years – DALYs). Neurologische Erkrankungen sind dabei weit häufiger als die Summe der kardiovaskulären, onkologischen oder metabolischen Erkrankungen. Es gibt sehr aussagekräftige aktuelle Zahlen und Berechnungen, wie hoch die Belastungen und Kosten dieser Erkrankungen für unser Gesundheitssystem sind. Dies sollten wir uns ins Bewusstsein rufen. Eine bessere Prävention könnte hier nämlich sehr viel bewirken.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Alzheimer Demenz und anderen Demenzformen?
Unter dem Begriff Demenz werden mehr als 50 verschiedene Erkrankungen zusammengefasst. Allen ist gemeinsam, dass sie die Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Die Alzheimer-Demenz ist dabei mit etwa 70% die häufigste Form. Neben der Alzheimer-Demenz sind die vaskuläre und die frontotemporale Demenz die häufigsten Demenzerkrankungen. Der Begriff Demenz wird als Oberbegriff für Demenzerkrankungen verwendet und ist nicht mit der Alzheimer-Demenz gleichzusetzen.
Welche besonderen Trainingsmöglichkeiten gibt es, die sich positiv auf unser Gehirn auswirken?
Wichtig ist es frühzeitig mit dem kognitiven Training anzufangen. Neben dem kognitiven Training gilt es auch Risikofaktoren zu vermeiden. Dies betrifft neurologische Erkrankungen genauso wie andere Erkrankungen z.B. Bluthochdruck oder Diabetes. Ein wichtiger Faktor um geistig fit zu bleiben ist es, sich die Neugier zu bewahren, immer etwas Neues zu lernen, das Gehirn zu fordern, aber auch soziale Kontakte zu pflegen.
Wirken sich die digitalen Medien negativ auf unser Gehirn aus?
Oft werden der heutige Konsum von Handys und digitalen Medien als Risikofaktoren für unsere Gehirngesundheit gesehen. Aus neurologischer Sicht gibt es dafür keine Evidenz. Ich würde sagen es ist wie bei allem im Leben: Alles, was man im Exzess betreibt, wirkt sich möglicherweise ungünstig aus. Die individuelle Balance ist wichtig. Grundsätzlich sehe ich im digitalen Zeitalter viele positive Möglichkeiten. Beispielsweise sind mittlerweile die 10.000 zurückgelegten Schritte als Nachweis für körperliche Ertüchtigung allen ein Begriff. Auch für unsere kognitiven Leistungen könnten wir uns konkrete Ziele setzen, die es regelmäßig zu erreichen gilt. Das würde sich optimal auf unsere Gehirngesundheit auswirken.
Wie bemerken Patient*innen, dass sie an Alzheimer bzw. Demenz erkrankt sind?
Grundsätzlich unterscheidet man 2 Vorstufen. Einerseits gibt es die subjektive eigene Wahrnehmung (subjective cognitive decline), dass Dinge vergessen werden wie z.B. ein verlegter Schlüssel. Dies ist in der Regel nicht der Beginn einer Demenz. Andererseits spricht man von einem milden kognitiven Defizit. Hier bemerkt auch das Umfeld, dass beispielsweise die Merkfähigkeit abnimmt, eine Person etwa Namen vergisst. Das ist oft der „Entry point“ in eine Demenz. Medizinisch kann diese Frühphase einer Alzheimer- Demenz mittels konkreter Biomarker in der Bildgebung und Liquor (Nervenzellwasser) festgestellt werden. Leider gibt es bisher keine EU Zulassung einer wirksamen Therapie und keine Heilung. Es gibt nur Medikamente, die die Symptome lindern und die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern. Diese greifen jedoch nicht in die Ursache der Erkrankung ein.
Gibt es zu diesem frühen Zeitpunkt einer Demenzerkrankung noch Möglichkeiten gegenzusteuern?
Bei vielen Patient*innen entwickelt sich eine Art von Fatalismus, sobald sie merken, dass sie vergesslicher werden. Die Folge ist, sie lassen sich gehen. Auch sind meist Menschen in einem fortgeschrittenen Lebensalter von Demenzerkrankungen betroffen. Für sie bedeutet eine Umstellung ihrer Lebensgewohnheiten eine enorme Kraftanstrengung, zu der sie sich oft nicht aufraffen können. Dieser Einsatz wäre aber notwendig um dem Fortschritt einer Demenz gegenzusteuern. Das kann man gut mit körperlichen Einschränkungen vergleichen. Nach einer Knieverletzung muss man auch hart trainieren um wieder fit zu werden. Auch das bedeutet eine Kraftanstrengung, die aber notwendig ist.