Diversitätsarbeit im Wiener Gesundheitsverbund
Anlässlich des diesjährigen Diversitätsmonates haben wir mit Zeynep Arslan, Gender- und Diversitätsbeauftragte für den Wiener Gesundheitsverbund, gesprochen:
Was bedeutet Diversitätsarbeit im Wiener Gesundheitsverbund?
Die Gender- und Diversitätsarbeit für Unternehmen umfasst mehrere Bereiche. Einerseits geht es um den Bereich der Mitarbeiter*innen, andererseits um die Kund*innen und um den Außenauftritt als Dienstgeber*in, Dienstleister*in und Ausbildner*in. Unsere rund 30.000 Mitarbeiter*innen spiegeln in ihrer Diversität die Wiener Stadtbevölkerung wider. In den letzten Jahren sind wir sensibler und achtsamer gegenüber Gender- und Diversitätsfragen geworden. Auch hat die Diversität in der Stadt beachtlich zugenommen, vor allem bezogen auf die ethnische Herkunft. Daher braucht ein Unternehmen eine entsprechende Gender- und Diversitätssensibilisierung aber auch – orientierung. Das gilt umso mehr für den Wiener Gesundheitsverbund, als einen der größten Dienstgeber, Dienstleister und Ausbildner im Gesundheitswesen in Europa.
Was bedeutet Diversität für den Bereich der Mitarbeiter*innen?
Immer mehr Studien belegen, dass Unternehmen kreativer und innovativer sind, wenn sie in den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen Diversität und Beteiligung zulassen. Damit wird die Miteinbeziehung anderer und diverser Sichtweisen von Mitarbeiter*innen ermöglicht. Wenn z.B. weibliche* Mitarbeitende ihre Standpunkte in Entscheidungsfindungsprozesse einfließen lassen, werden die daraus folgenden Ergebnisse entsprechend umfassender und inklusiver sein. Das Gleiche gilt für alle anderen Diversitätsdimensionen. Es braucht die Teilhabe von Mitgliedern aus unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung. Im Wiener Gesundheitsverbund kann zum Beispiel durch gezielte Rekrutierungsmaßnahmen die verstärkte Einbeziehung diverser Sichtweisen und Expertisen erreicht werden. Zusätzlich möchte ich noch ergänzen, dass unser gut funktionierendes Gesundheitssystem ohne entsprechende Teilhabe von Kolleg*innen mit Migrationsbiographie – sowohl in der Pflege als auch in der Reinigung, Küche, Technik, Serviceassistenz – gar nicht möglich wäre.
Wichtig finde ich auch, dass verstärkt auch Gender- und Diversitäts- sowie Diskriminierungsfragen in Mitarbeiter*innenbefragungen (Gewalt, Aggression, Strukturierungsthemen etc.) bis hin zu Informationsbögen (Datenschutzerklärungen, Aufnahmebögen etc.) zu jeglichen Themen inkludiert werden. Wichtig ist dabei auch immer jene Mitarbeiter*innen zu erreichen, die über keinen PC-Zugang oder nicht über ausreichende Deutschsprachkenntnisse verfügen.
Die zunehmende Diversität in der Bevölkerung mit zu berücksichtigen und diese auf allen Ebenen der Hierarchie im Unternehmen zu fördern, steigert die Diversitätskompetenz der Unternehmung im Umgang mit den zunehmend diversitätsgeprägten Bedarfen und Notwendigkeiten der Patient*innen und Bewohner*innen sowie deren Angehörigen. In diesem Zusammenhang ist es von Vorteil Personal zu rekrutieren, das neben der entsprechenden Fachexpertise auch über umfassende Sprachkenntnisse (inkl. Gebärdensprache) bzw. interkulturelle Kompetenzen verfügt.
Was bedeutet Diversität für den Bereich der Patient*innen?
Die Wiener Stadtbevölkerung wird zunehmend diverser und damit auch die Patient*innen. Wien war schon immer eine Einwanderungsstadt, dies sollte nicht vergessen werden. Schon in der Vergangenheit wurden Maßnahmen gesetzt um Barrieren abzubauen und Inklusion zu fördern. Beispielsweise wurde bereits 1975 – vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz ein „Ärzte-Sprachführer“ herausgegeben, der Unterstützung für Gesprächsführungen mit serbokroatischen und türkisch-sprachigen Patient*innen lieferte. Zuwanderung, Migration und die Diversität entlang ethnischer und sozialer Herkunft unserer Patient*innen hat es also schon immer gegeben. Im Wiener Gesundheitsverbund verfügen wir über viel Erfahrung, die wir nutzen und stärker ins Bewusstsein rufen sollten.
Zum Thema Migration: Es gibt nicht „die Migrant*innen“. Menschen mit Migrationsbiographien haben eine immense Heterogenität. Diese Unterschiede müssen im Umgang mit Patient*innen so gut wie möglich berücksichtigt werden. Ein Beispiel: Einer vermeintlich muslimischen Patientin wird ein*e Seelsorger*in der sunnitischen Rechtsschule vermittelt. Die*der Patient*in gehört aber einer anderen Konfession an und fühlt sich daher vielleicht nicht gut beraten. Sensibilisierte Informationsbögen, in denen diese oder ähnliche Fragen geklärt werden, können hier Abhilfe schaffen.
Wie schlägt sich die Diversitätsfrage im Rahmen des Versorgungsauftrages nieder?
Wir haben einen Versorgungsauftrag gegenüber Menschen und mir wird in Gesprächen mit Kolleg*innen immer wieder gesagt: „Für mich sind alle Menschen gleich“ und das ist gerade im Gesundheitswesen eine selbstverständliche und unabdingbare Grundvoraussetzung für die berufliche Profession. Gleichzeitig aber ist es wichtig zu erkennen, dass Menschen eben auch individuell sind. Gerade im Gesundheitswesen, wo der Prototyp „weißer Mann“ als Messgrundlage genommen ist, macht es einen Unterschied für die Diagnose und die Behandlung, ob es sich bei den zu behandelnden Personen um z.B. eine Frau handelt, die zusätzlich über eine Behinderung verfügt und vielleicht sogar aus sozioökonomisch schwächer situierten Verhältnissen kommt. Unterschiedlich sozialisierte Menschen haben unterschiedliche Zugänge zu Gesundheitsfragen und Behandlungsmethoden, gehen oft vielleicht auch anders mit Schmerzen um. Das müssen wir bei der Behandlung von Patient*innen aus unterschiedlichen Kulturen sowie ethnischen und sozialen Herkünften stärker mitberücksichtigen um eine qualitativ hohe Behandlungsqualität und Patient*innensicherheit zu gewährleisten. Diversitätskompetenz verlangt in erster Linie die Offenheit und das (An-)Erkennen für die gelebte Realität, die innerhalb der Wiener Stadtbevölkerung aber auch innerhalb der Belegschaft tagtäglich passiert.
Gibt es ein Thema, das du ausblickend in den Raum stellen möchtest?
Europa steht komplexen bevölkerungsdemographischen Herausforderungen gegenüber. Die Bevölkerung wird immer älter und Generationenmanagement stellt im Wiener Gesundheitsverbund immer mehr eine Herausforderung dar (Stichwort: Altersdiskriminierung). Allerdings gibt es noch eine weitere Frage, die aus meiner Sicht zu wenig Berücksichtigung findet: Wie gut vorbereitet sind wir z.B. auf Bewohner*innen mit Migrationsbiographien in unseren Pflegehäusern?
Was möchtest du abschließend anführen?
Als einer der größten Gesundheitsdienstleister, -dienstgeber und -ausbildner Europas leistet der Wiener Gesundheitsverbund enorm wichtige Arbeit. Vom Gender- und Diversitätsmanagement heraus können wir nur stolz auf die so große Diversität und Sensibilisierung in den Reihen unserer Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen sein. Umso mehr und angesichts der Widerspiegelung in der Wiener Stadt Bevölkerung gilt es diese tagtäglich gelebte Diversität stärker ins Bewusstsein zu holen. Die Diversität bringt zwar viele Herausforderungen mit sich, aber gleichzeitig auch viele Chancen und Möglichkeiten.
Links: