Blutproben stehen sortiert im Labor

Das Geheimnis liegt im Blut

Was wäre, wenn wie aus dem Nichts ein unbekanntes Virus den Globus überzöge? Und die Medizin mit ihrem Latein am Ende wäre? Mit COVID-19 wurde diese Fiktion zur bitteren Realität.

Im Jänner mussten wir aus 8.000 Kilometern Entfernung mit ansehen, wie sich ein Virus in der Region Hubei (China) mit 57 Millionen EinwohnerInnen rasant ausbreitete. Es dauerte nicht lange, bis der Erreger auch Europa erreichte. In unseren Breiten wurde SARS-CoV-2 zum ersten Mal in Frankreich nachgewiesen. Am 11. Februar erhielt die dadurch ausgelöste Erkrankung von der Weltgesundheitsorganisation den offiziellen Namen COVID-19. Spätestens mit den Fernsehbildern aus der schwer getroffenen norditalienischen Lombardei wurde einer breiten Medienöffentlichkeit die Tragweite der Situation allmählich klar.

Lernen aus jedem Fall

Am 25. Januar wurde der erste Verdachtsfall in Wien isoliert, die bereits etablierte molekularbiologische Untersuchungstechnik erlaubte einen raschen Ausschluss von COVID-19. Am 26. Februar wurde in Wien der erste Patient in der Klinik Landstraße positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Die Behandlungsteams – zu Beginn ausschließlich in der Klinik Favoriten, dann in weiteren Häusern des Wiener Gesundheitsverbundes – mussten sich auf ihre persönlichen Erfahrungswerte verlassen. Denn spezifische Kenntnisse über das Virus und dessen Wirkweise waren zu Beginn der Pandemie in der Literatur kaum vorhanden. Mangels gezielt wirkender Medikamente stellten sich bewährte therapeutische Maßnahmen wie etwa die PatientInnen-Lagerung sowie die Gabe von Hochfluss-Sauerstoff als ganz entscheidend heraus. Mit dem akribischen Studium jedes einzelnen Krankheitsverlaufs lernten und lernen die Teams täglich dazu. Die begleitende Forschungsarbeit wird auch im weiteren Verlauf der Schlüssel zum Erfolg.

„Der Wiener Gesundheitsverbund und die Stadt Wien haben von Beginn an viel Energie in die begleitende Forschungsarbeit investiert“

sagt Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes. „Die Wissenschafts-Community weltweit arbeitet mit Hochdruck und grenzüberschreitend zusammen. Und auch wir leisten dabei unseren Beitrag.“

Hilfe aus dem eigenen Körper?

Eine seit 2012 in Wien laufende, breit angelegte Lungen-Studie (Austrian-LEAD-Beobachtungsstudie) wird nun als Plattform zur Erforschung des neuartigen Coronavirus genutzt. Primaria Sylvia Hartl, Lungenspezialistin an der Klinik Penzing, testete 12.000 ProbandInnen auf COVID-19 – besser gesagt auf SARS-CoV-2-Antikörper.

„Medizinisch ist es in jeder Hinsicht entscheidend zu wissen, wie stark sich das Virus in der Bevölkerung bereits ausgebreitet hat“, erklärt Hartl.

„Einmal geht es darum, die Wirksamkeit der von der Gesundheitspolitik gesetzten Maßnahmen einschätzen zu können. Je geringer die Ausbreitung des Virus, desto wirksamer die Maßnahmen. Andererseits sollen diejenigen gefunden werden, die nach einer Infektion bereits Antikörper gebildet haben. Denn darin liegt ein Ansatz für die COVID-19-Therapie.“

Binnen nur eines Monats wurden 12.000 Blutproben genommen, begleitende Fragebögen digital erfasst und ausgewertet. Unter den ProbandInnen war auch die 45-jährige Martha Reinwein, die sich, ohne Symptome zu entwickeln, mit dem Virus infiziert und bereits Antikörper gebildet hatte.

„Viele der SARS-CoV-2-Infizierten zeigen keinerlei oder nur sehr schwache Symptome“,

weiß Marie Breyer, leitende Stationsärztin an der 1. Internen Lungenabteilung der Klinik Penzing.

„Diese Antikörper-Studie kann uns Antworten auf viele wichtige Fragen liefern: Etwa wie lange man nach einer Infektion gegen das Virus immun bleibt oder ob Kinder zu Unrecht zu den Überträgern ohne Symptome zählen“

und womöglich kommt letztlich auch die Hilfe gegen das Virus aus unserem eigenen Körper.